Montag, 5. Februar 2018

Gefährtin - Auserwählt

Ich wusste es, noch bevor irgendjemand reagieren konnte,  da wusste ich, dass der Finger, der nun auf mich zeigte, mein ganzes Leben verändern würde.
Sie sah vielleicht aus wie ein einfaches, kleines Schulmädchen, aber das war sie nicht. Das Mädchen war eine Hoheit, die Erbin eines ganzes Reiches.
Bis vor einem halben Jahr wusste ich noch nicht einmal, dass es neben all den bekannten Ländern noch Versteckte Länder gibt. Die Versteckten Länder hießen so, weil sie vor vor allen versteckt waren, die nicht über das Sehende verfügten. Das Sehende war eine Gabe mit der nur magische Wesen geboren wurden, so wie ich eins war. Als meine Großeltern mir meine Geschichte erzählten, erklärten, wer sie waren, wer meine Eltern waren und was ich war. Meine Familie stammte aus einer sehr mächtigen Gestaar Reihe ab, alle mit mächtigen Gaben beschenkt und auserkoren das Königshaus zu beschützen. Doch als es zu einem Aufstand kam und meine Eltern verschwanden, flüchteten meine Großeltern mit mir aus den Versteckten Ländern und versteckten sich - oder eigentlich versteckten sie vielmehr mich als letzten Nachkommen des Gestaar Geschlechts - vor den Aufständischen. Vor einem halben Jahr stand dann ganz unerwartet die kleine Hoheit vor der Haustür und wollte mich kennenlernen. Bis dahin hatte ich keine Ahnung gehabt, dass die Geschichten, die meine Großeltern mir immer erzählt hatten, als ich noch klein war, echt waren. Es waren wahre Geschichten aus realen Ländern.
Doch jetzt erfüllte sich mit einem Mal ein Schicksal, dass nie für mich bestimmt war. Die kleine Hoheit zeigte mit ausgestrecktem Finger auf mich und strahlte bis über beide Ohren: "Sie!"
Alle starrten für einige Minuten fassungslos auf das Mädchen, als warten sie darauf, dass sie jeden Moment in lautes Gelächter ausbrechen würde. Doch nichts dergleichen geschah und die Erkenntnis gewann die Oberhand. Sie hatte mich ausgewählt. Jetzt richteten sich alle Blicke auf mich und ich spürte wie mir das Blut ins Gesicht schoss.
"Das ist wohl ein Scherz!", zischte einer ihrer Berater verächtlich. "Hoheit, sie ist dafür doch absolut nicht geeignet und überhaupt, sie wurde doch nicht einmal ausgebildet." Sein Tonfall war abfällig und er sah mich, während er sprach, auch sehr angewidert an.
"Offensichtlich qualifiziert SIE das ja zu einer solchen Aufgabe", gab ich bissig zurück. Weder traute ich mir selbst die Aufgabe zu, die mir die Hoheit zugedacht hatte, aber sein widerlichen Ton und seine Abschätzigkeit stachelten mich irgendwie an.
"Oder die kleine Lady erlaubt sich einen ziemlich schlechten Scherz", giftete er zurück.
"Briss, ich habe mich entschieden und das meine ich durchaus ernst! Ich habe sie erwählt und ihr wisst alle, sobald ich mich entschieden habe, ist es unumkehrbar. Sie und ich sind jetzt verbunden und statt rumzustinkern, solltest du sie lieber auf ihre Aufgabe vorbereiten. Du weißt schon, stirbt sie sterb ich und so weiter."
"Ich soll sie was?", fragte er im selben Moment in dem ich: "Er soll mich was?", fragte. Irgendjemand wollte mich doch richtig kräftig verarschen! Erst erwählt die kleine Hoheit mich zu ihrer Gefährtin  und jetzt soll das Ekelpaket meine Ausbildung übernehmen. Auf gar keinen Fall.
"Meine Großeltern bilden mich aus", sagte ich um das Unheil abzuwenden, doch ich wusste, dass es nichts brachte mit ihr zu diskutieren. Sie war es gewohnt alles zu bekommen, was sie wollte.
"Briss ist ein sehr guter Lehrer, er trainiert mich schon seit Jahren." Sie himmelte mich an und wir wussten beide, dass meine Großeltern mich nicht mehr ausbilden würden. Wie konnte ein zwölfjähriges Mädchen nur so süß und gleichzeitig zu verschlagen sein?
"Ich will sie aber nicht ausbilden, Hoheit." Briss sah mich zornig an. Als könnte ich irgendwas dafür.
"Also, nur damit ich das richtig verstehe, Briss, damit ich es es meinen Eltern korrekt übermitteln kann, du willst mir nicht helfen meine - leider schlecht ausgebildete - Gefährtin auf ihre Aufgaben vorzubereiten uns damit schutzlos lassen? Ist das korrekt?" Ihre Stimme klang liebenswürdig und süß, aber die Worte der kleinen Hoheit trafen mich hart.
"Ihr werft ihm Hochverrat vor?", platze es schockiert aus mir heraus. "Das ist doch nicht euer Ernst?" Erschrocken sogen alle scharf Luft ein und dann breitete sich eine unheimliche Stille aus. Niemand traute sich etwas zu sagen.
"Du verteidigst ihn?", fragte sie verwirrt. "Als meine Gefährten bist du mir loyal, du kannst nicht anders, also wie schaffst du es, so mit mir zu sprechen?" Sie sah sichtlich verwirrt aus, aber auch sehr interessiert.
"Ihr habt mich auserwählt, Hoheit. Aber ich diene niemanden, der nur durch Manipulation ans Ziel kommt. Verdient es euch auch von mir auserwählt zu werden." Jetzt begannen alle auf einmal zu reden und ich verstand kein Wort. Ich beobachtete einfach die kleine Hoheit und hoffte, dass sie mich nicht an Ort und Stelle töten würde. Wenn sie Briss schon Hochverrat vorgeworfen hatte, was um alles in der Welt hatte ich denn dann gerade begangen?
"Du hast recht, Gefährtin, ich sollte mir meinen Respekt verdienen." Sie lächelte anerkennend und sah ein wenig stolz aus. "Bitte, Sophia, Erbin der Gestaar, erweise mir, Alessia, Erbin der versteckten Länder, die Ehre und werde meine Gefährtin." Jetzt geschah etwas, dass mir niemand glauben würde, wenn ich dafür nicht Zeugen hätte. Die kleine Hoheit verneigte sich tief vor mir und wartete auf meine Entscheidung. Eine Entscheidung mit der ich jenes Schicksal akzeptieren würde.
"Ich werde von jetzt und für immer eure Gefährtin sein!", erwiderte ich mich fester Stimme und verneigte mich ebenfalls.
So kam es, dass ich, die letzte Tochter einer fast vergessenen Rasse, die Gefährtin der Prinzessin und Erbin der versteckten Länder geworden bin. Unsere Leben waren unwiderruflich miteinander verbunden.

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