Dienstag, 26. Dezember 2017

Geburtstage feiert man anders

Es war der Geburtstag meines Onkels gewesen. Wir haben mit der Familie bei ihm gefeiert und es wurde viel gelacht und Geschichten erzählt, wie es in der Jugend meines Vaters und seines Bruders war. Später am Abend, nachdem fast alle gegangen waren - eigentlich waren nur noch mein Vater und ich übrig gewesen - und der Alkohol Pegel gestiegen war, wurden die lustigen Geschichten immer ernster. Auch ich wurde immer müder und ernster und wollte nur noch nach Hause. Aber ich war noch sehr jung, kaum vierzehn Jahre alt und hatte Angst allein im Dunkeln nach Haus zu gehen, da es auch nicht unbedingt um die Ecke lag. Also begann ich zu nörgeln und zu jammern. Ich wollte Heim und ich war müde. Doch mein Vater ließ sich nicht beirrend und erzählte eine Geschichte nach der nächsten. Dann erzählte er uns eine Geschichte aus Frankreich, wie er und sein Freund sich dort verirrt hatten und sie dort nach den Weg fragen mussten. Sie hatten Ablehnung verfahren, Angst und Hass. Einer von den Einwohnern hatte ihnen eine Mistgabel unter das Kinn gedrückt und sie wild beschimpft, dass sie sofort verschwinden sollten, ansonsten würde er sie auf seine Mistgabel spießen. Mein Vater, der vorher schon das eine oder andere Bier getrunken hatte und auch den einen oder anderen Schnaps getrunken hatte, war wild am gestikulieren und demonstrierte ganz deutlich mit seinen Fingern, wie sich die Mistgabel abgefühlt hatte, nur dass er es an mir demonstrierte.
Seine Finger bohrten sich in meine Kehle, tiefer und immer tiefer, sodass ich kaum noch Luft bekam. Er schrie mich an, wie es der Franzose bei ihm getan hatte und erklärte mir, wie tief sich die Zinken in seinen Hals gebohrt haben und dass er keine Luft mehr bekam, so als würde ihn jemand die Kehle zudrücken.
"So hat sich das abgefühlt!", sagte er und seine Finger schlossen sich fest um meinen Hals. Jetzt bekam ich wirklich keine Luft mehr und Angst stieg in mir auf. Ein Teil von mir bekam Todesangst, wusste, dass ich hier nicht alleine aus der Situation kommen konnte und ein anderer Teil war sich sicher, dass mein Vater es nicht so weit kommen lassen würde. Es führte beide Teile einen Kampf und  auch mein Körper kämpfte. Der Instinkt übernahm und ich zog und riss an seinem Arm. Tränen liefen mir über mein Gesicht und ich verstand einfach nicht, dass er meine Angst nicht bemerken konnte - nicht sehen konnte!
Irgendwann - ich hatte kein Gespür mehr für die Zeit - griff mein Onkel ein riss meinen Vater von mir weg, schrie ihn an ob er noch ganz dicht sei mir so eine Angst einzujagen. Doch der erwiderte lediglich, dass ich mich freuen sollte, dass mir so etwas nicht mehr passieren würde.

Heute verstehe ich, dass es meinem Vater nicht bewusst war. Er hätte mich wahrscheinlich in seinem Wahn erwürgt, wenn mein Onkel nicht eingegriffen hätte und diese Situation beendet hätte. Für mich ist damals der erste Stein ins Rollen geraten, aber erst jetzt habe ich wirklich begriffen, dass es mehr Glück war als die Liebe eines Vaters.

Weil ich es mir nicht vorstellen konnte...

Seit dem Mord an Patrick war es nicht mehr das Selbe. In der WG redeten wir kaum noch miteinander, warfen uns misstrauische Blicke zu und schlossen unsere Zimmertüren ab. Mir war bewusst, dass die meisten mich verdächtigten und mich deswegen mieden. Aber ich war es nicht! Ich hatte Patrick nicht getötet. Er war mein Stiefbruder gewesen und wir haben uns viel gestritten, das konnte ich nicht leugnen, aber dennoch hatten wir uns gern. Ich konnte mich nicht mal mehr an ein Leben ohne ihn und seine Mutter erinnern, geschweigedenn konnte ich mir eine Zukunft ohne ihn vorstellen. Sogar die Polizei hatte vermutet, dass ich ihn getötet haben könnte und hatten mich Stunden lang befragt und hatten mich sogar Tage lang beschatten lassen. Erst als sie die Bestätigung hatten, dass ich wegen eines Vorstellungsgespräches in einer anderen Stadt war, haben sie von mir abgelassen. Jetzt standen sie wieder bei Null. Mein Vater wollte, dass ich wieder nach Hause kam, aber ich konnte nicht nach Hause zurück, nicht ohne Patrick.

Ich saß im Wohnzimmer und arbeitete an einer Hausarbeit, die bald fällig war, was ich nur noch tat, wenn niemand zu Hause war. Es war das erste Mal, dass ich seit dem das passiert war, wieder daran arbeitete und ich schaffte ein ziemliches Stück.
"Cassia", sagte Marks überraschte Stimme hinter mir. "Dich sieht man nur noch selten." Vor Schreck zuckte ich heftig zusammen und dabei fiel mein Laptop und die Bücher runter. "Wow, tut mir voll leid!" Er hob die Hände und grinste mich breit an.
"Tut mir leid", murmelte ich, rutschte von der Couch und sammelte meine Sachen wieder auf. Mark kam zu mir herum, kniete sich vor mich und half mir.
"Du kommst kaum noch aus deinem Zimmer", sagte er, nachdem wir alles aufgehoben hatten.
"Ihr glaubt doch alle, dass ich Patrick...", ich konnte es nicht aussprechen, ich konnte es ja nicht einmal akzeptieren.
"Das glauben wir nicht", sagte Mark erst und suchte meinen Blick, doch ich wich ihm aus. Ich hatte gemerkt, wie Gespräche verstummten, sobald ich ins Zimmer kam, wie sie mir Blicke zuwarfen und nachdem die Polizei mich mitgenommen hatte, mieden mich alle. "Ja, na gut, dass ist Schwachsinn! Nachdem die Polizei dich hier abgeführt hat, haben wir das alle geglaubt, aber du wurdest entlastet und du warst ja nicht mal in der Stadt! Jeder, der das jetzt noch glaubt ist ein Idiot."
"Ihr seid alle Idioten", murmelte ich und drehte mich zum Gehen. Ich war enttäuscht. Es war eine Sache zu glauben, dass sie mir einen Mord zu trauten, es war etwas ganz anderes es zu hören. Und dann auch noch von Mark! Bevor es passiert war, dachte ich, dachten wahrscheinlich alle, dass wir das nächste "Traum-Paar" werden würden, sehr zum Missfallen meines Bruders. Mark war das Streitthema, wie eigentlich jeder Mann der mir gefiel. Patrick glaubte immer, mich beschützen zu müssen, vor allem und ganz besonders vor jedem Mann. Als wir damals hier eingezogen sind, hatte er damit angefangen mich zu kontrollieren, wollte wissen wohin ich gehe, mit wem ich wegging und hatte des öfteren meine SMS und Anrufe gecheckt. Nachdem Mark hier einzog und wir uns immer besser verstanden, hatte es seinen neuen Höhepunkt erreicht.
"Cassia?" Mark hielt mich am Arm fest. "Es tut mir wirklich Leid, ok?"
"Ja, ich habs gehört", murrte ich, entzog mich seinem Griff und eilte in mein Zimmer. Dort angekommen, schloss ich die Tür und lehnte mich dagegen.

Es war schon dunkel, als es an meiner Tür klopfte. Verunsichert setzte ich mich auf und sah auf die geschlossene Tür, als könne ich durch sie hindurch sehen.
"Cassia?", flüsterte Hannah leise. "Bist du noch wach?" Ohne zu antworten ging ich zur Tür und öffnete meiner besten Freundin die Tür.
"Hannah, was ist los?", fragte ich besorgt. Hannah war die Einzige gewesen, die immer an mich geglaubt hat, selbst als die Polizei sich auf mich eingeschossen hatte. Sie stand unerschütterlich zu mir, egal was die anderen sagen oder taten, sie verteidigte mich.
"Ich weiß nicht so recht. Also ich hab da so eine Theorie entwickelt, aber die ist wirklich total absurd", sagte sie nervös. "Ach, was rede ich, ich hätte dich damit gar nicht belasten sollen."
"Jetzt erzähl schon Hannah, so verrückt kann sie nicht sein, wenn du dir ernsthaft sorgen machst."
"Ok, aber wie gesagt, dass ist bestimmt totaler Quatsch. Aber was ist, wenn die Polizei recht hat was das Motiv angeht?"
"Warte, willst du damit sagen, dass ich es doch war?", fragte ich sie fassungslos.
"Natürlich nicht! Aber was ist, wenn Patrick nicht nur dir Stress gemacht hat, sondern auch Mark. Nur mal angenommen, Cassia, ich sagte doch, dass das ziemlich absurd ist!", sagte sie schnell als sie meinen skeptischen Blick sah. "Aber du weißt doch, wie Patrick war. Er hat dir nachgestellt und dich kontrolliert, wo er nur konnte und wer sagt denn, dass er das nicht auch bei Mark getan hat. Was ist, wenn Patrick zu Mark gegangen ist und ihm gesagt hat, dass er die Finger von dir lassen soll und Mark ihm dann einen seiner Sprüche gedrückt hat. Patrick ist ausgerastet und hat ihn angegriffen und Mark musste sich wären. Oder Patrick stand ihm im Weg um an dich ran zu kommen."
"Was willst du damit denn sagen?", fragte ich und spürte, wie ich eine Gänsehaut bekam.
"Naja, als er hier auftauchte hat er sich sofort auf dich konzentriert und nicht mal eine andere angeguckt. Ich meine nicht das du das nicht wert währest, aber er ist halt auch nur ein Mann", erklärte sie und zuckte verlegen mit dem Schultern. "Vielleicht ist er ja bisschen zu sehr von dir angetan, wenn du verstehst", sagte sie und machte mit dem Zeigefinger Drehtbewegungen am Kopf.
"Willst du damit sagen, dass er...", ich spiegelte die Bewegung.
"Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass er sich ziemlich merkwürdig verhält. Er saß heute den ganzen Abend im Wohnzimmer und starrte deine Tür an und hat jeden angemacht, dass das alles deren Schuld sei", sie machte eine Pause und sah zu meiner Zimmertür und für dann, noch leiser, fort: "Er hat mir wirklich Angst gemacht und das nicht zum ersten Mal."
"Glaubst du, wir sollten damit zur Polizei gehen?", fragte ich.
"Was willst du ihnen denn erzählen? Das sind alles nur Spekulationen, wir haben keinen Beweis."
"Du hast ja recht", sagte ich niedergeschlagen und ängstlich zugleich. Hatte sie recht und Mark steckte wirklich hinter dem Mord? Ich spürte wie Panik in mir hochkochte und ich brauchte frische Luft. Also zog ich mich an, sagte Hannah, dass ich hier raus musste und schlich mich aus dem Haus.
Die kühle Nachtluft tat mir gut und ich zog sie ein paar Mal tief ein. Meine Gedanken überschlugen sich und ich wusste nicht, was ich glauben sollte. Mit einigem, was Hannah gesagt hatte, hatte sie recht gehabt. Patrick hatte mich Kontrolliert und es war nicht ausgeschlossen, dass er es auch bei Mark versucht hatte. Mark hatte von Anfang an nur Augen für mich gehabt und hatte alle anderen abblitzen lassen. Aber ich wollte nicht glauben, dass er meinen Bruder getötet hatte. Er war ein guter Kerl. Aber ich konnte auch nicht die Augen davor verschließen, dass einer meiner Freunde meinen Bruder getötet hatte.
"Cassia!", rief Mark und ich zuckte heftig zusammen. Offenbar hatte Hannahs Theorie mir doch gehörig Angst gemacht.
"Mark", sagte ich und wich ein Stück von ihm zurück. "Was machst du hier?"
Er sah an sich herunter, als wäre die Antwort offensichtlich - was sie zugegeben auch war, denn er trug seine Lauf-Sachen. "Ich war laufen", sagte er und sah mich verwirrt an. "Wie jeden Abend."
"Ja, stimmt, du gehst jeden Abend allein Laufen." Mir dämmerte langsam, dass er für die Tatzeit kein Alibi hatte.
"Cassia, ist alles in Ordnung? Du wirkst irgendwie, naja, keine Ahnung, ängstlich?"
"Ich hab mich nur erschrocken", erwiderte ich und rang mir ein Lächeln ab. Er kaufte es mir nicht ab.
"Du... du glaubst, ich hätte..." Er sah mich voller Entsetzen an. Aufrichtiges und ehrliches Entsetzen. Jetzt war er es, der ein paar Schritte zurückwich. "Ist das dein Ernst?"
"Nein... ja, keine Ahnung, Mark! Eigentlich glaube ich es nicht, aber Hannah..."
"Hannah?", fragte er verwirrt. "Was hat Hannah damit zu tun?"
"Sie hat da eine Theorie, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Patrick dich damit konfrontiert hat. Das hat er noch nie getan!"
"Wovon redest du, Cassia?", fragte er und kam einen Schritt auf mich zu. Erschrocken starrte ich ihn an. Ohne es zu wollen, hatte er mir geholfen Klarheit in mein Gedankenchaos zu schaffen. Hannah wusste nichts von Patricks Kontrollwahn. Wie konnte ich dass nur übersehen?
"Mark, ich...", ich brach ab als ich sah, wie Hannah irgendetwas auf Marks Kopf schlug und dieser einfach in sich zusammen sackte. Ich schrie entsetzt auf.
"So, jetzt sind wir endlich zu zweit", sagte sie und lächelte mich an. Allerdings stimmte etwas mit ihrem Gesicht nicht, es wirkte falsch.
"Was hast du getan, Hannah?", fragte ich und Tränen liefen über mein Gesicht. Alles in mir wollte die Wahrheit rausschreien, aber ich konnte sie nicht ertragen.
"Ich habe dich befreit, jetzt steht uns endlich niemand mehr im Weg", sagte sie zufrieden. "Patrick wollte dich von mir Fernhalten, er sagte, ich sei eine Psychopathin! Kannst du das glauben? Aber das konnte ich nicht zulassen, wir gehören doch zusammen."
Sie war verrückt! Richtig und völlig duschgeknallt! Und sie war besessen von mir. Ich sah zu Mark, der immer noch reglos am Boden lag. "Was ist mit Mark? Wieso hast du ihn... ?"
"Er wollte dich mir wegnehmen! Du gehörst du mir!", zischte sie wütend und ein paar Tröpfchen Speichel spritzen aus ihrem Mund. Sie hatte einen kompletten Realitätsverlust.
"Also wolltest du, dass ich glaube, dass er meinen Bruder getötet hat und ich ihn für einen Stalker oder so was halte?" Fassungslos starrte ich sie an. Alles was sie über Marks Konfrontation mit Patrick erzählt hat, war ihr passiert. Daher wusste sie wahrscheinlich auch, dass Patrick mich kontrolliert hatte, weil sie mich verfolgt hatte. Und in ihrer Rolle als beste Freundin konnte sie das auch ganz einfach.
"Du hast sie meinetwegen getötet?", fragte ich schluchzend und sah kaum noch etwas durch die dicken Tränen. Sie war verrückt!
"Nein!", kreischte sie schrill. "Warum kapierst du das denn nicht? Ich hab es für UNS getan!"
"Nein", weinte ich und wich zurück. "Ich will das nicht." Sie schrie wütend auf und kam mit schnellen Schritten auf mich zu: "Wir gehören zusammen! Früher oder später wirst du das schon einsehen!" Sie packte mich in den Haaren und ich schrie auf.
"Bitte, Hannah, lass mich los", weinte ich und versuchte mich aus ihrem Griff zu befreien. Ich wollte nur noch hier weg. Hoffentlich bekamen die Nachbarn den Streit mit und riefen die Polizei, bevor es zu spät war.
"Wenn du nicht bei mir sein willst, dann wirst du nirgendwo mehr sein", plötzlich hatte ihre Stimme sich verändert und war jetzt ruhig und gefasst, aber trotzdem irgendwie schräg und verzerrt.
"Was soll das heißen?", fragte ich und bekam kaum noch Luft. Panik breitete sich in mir aus. Etwas blitze in ihrer Hand auf und als sie es vor mein Gesicht hielt erkannt ich ein Messer. Eigentlich nicht nur irgendein Messer, sondern das Taschenmesser meines Bruders. Die Polizei ging davon aus, dass er mit diesem erstochen worden war und dass der Täter oder besser die Täterin es behalten hatte. Ich riss wie wild an meinen Haaren und versuchte ihre Hand daraus zu befreien, aber ich schaffte es nicht.
Plötzlich löste sich ihr Griff und sie kippte einfach um. Hinter ihr erkannte ich Mark der eine Flasche in der Hand hielt. Vor Erleichterung gaben meine Beine unter mir nach und ich kniete neben Hannah auf dem Boden.
"Nein, komm, wir müssen hier weg und die Polizei rufen!", sagte Mark und zerrte mich zurück auf die Beine. "Komm schon, Cassia, du musst mitmachen!" Er zog mich hektisch hinter sich her, zurück in die WG, knallte die Haustür zu und schob den Riegel davor. Dann griff er sich das Telefon und wählte beim Laufen eine Nummer und redet mir irgendjemanden, was ich nicht hören konnte. Ich war in den letzten Minuten gefangen, sah immer und immer wieder, wie Hannah Mark niederschlug, wie sie mir freudig berichtete, dass sie meinen Bruder getötet hatte und wie sie versucht hat mich zu töten.
"Cassia, bist du verletzt?", fragte Mark besorgt und nahm mein Gesicht behutsam in seine Hände. Ein lautes Krachen ließ mich zusammenfahren und Hannahs hysterisches Schreien auf der anderen Seite der Tür gab mir den Rest. Es sollte einfach nur aufhören. Ich wollte meine Ruhe!
"Sie kommt hier nicht rein", murmelte Mark und zog mich eng an sich. In der Ferne hörten wir endlich die Sirenen der Polizeiwagen und Erleichterung machte sich in mir breit. Es war vorbei.

Nach wie vor hatte ich immer noch nicht begreifen können, wie ein Mensch so weit gehen kann und das, weil dieser glaubt aus Liebe gehandelt zu haben. Hannah wurde verurteilt und muss ihre Strafe in einer Anstalt absitzen. Mark und ich haben uns zumindest körperlich von dem ganzen erholt, aber ich habe immer noch Albträume, obwohl das schon ein Jahr her ist. Mark und ich waren seit jener Nacht zusammen und waren nun auf der Suche nach einer eigenen Wohnung in der Nähe meiner Eltern.

Donnerstag, 7. Dezember 2017

Das Geständnis

Sie hätte mich nicht schockierter ansehen können. Ihre wunderschönen grünen Augen waren weit aufgerissen und ich konnte erkennen, dass ihre Unterlippe bebte. Sie suchte sichtlich nach Worten, Worten, die ausdrücken konnten, was sie gerade empfand, aber dafür gab es wohl einfach keine Worte mehr. Jetzt liefen ihr die ersten Tränen über die Wangen und sich wich ein kleines Stück vor mir zurück. Auch ich machen einen Schritt zurück, um ihr den Platz zu geben, den sie jetzt brauchte.
Ich hatte gewusst, dass es gefährlich war, ihr die Wahrheit zu sagen und ich wusste, dass sie so reagieren würde, aber dennoch musste ich alles auf eine Karte setzen. Für mich würde es keine andere Frau mehr geben, dass wusste ich schon vom ersten Augenblick an, an dem ich sie gesehen hatte. Wieso das so war, wusste ich nicht und es konnte mir auch sonst niemand beantworten.
"Was bist du?", fragte sie kaum hörbar. Was ich allerdings vernahm, war ihre Angst, ihre Angst vor mir. Sie atmete tief durch und bemühte sich wieder etwas zur Ruhe zu kommen. "Was bist du?", wiederholte sie die Frage und klang dabei weniger, wie ein verängstigtes Mädchen, sondern wie eine starke und mutige Frau.
"Das ist nicht so leicht zu erklären", erwiderte ich und als sie gerade zum Protest ansetzen wollte fügte ich hinzu: "Wir nennen uns Arkossir, wir verfügen über gewisse Fähigkeiten, die über die von normalen Menschen hinausgehen. So kann ich mich in alle möglichen Lebewesen verwandeln, wie mein Vater und sein Vater. Meine Mutter hingegen hat eine andere Fähigkeit. Die einzelnen Gaben werden an die Nachkommen weitergegeben. Manchmal kommt es vor, dass sich zwei Fähigkeiten verbinden und daraus eine neue entsteht." Ich hatte es ihr so gut erklärt wie ich konnte ohne wirklich gegen den Kodex zu verstoßen, mal davon abgesehen, dass ich einer "Normalen" unser Geheimnis verraten habe natürlich.
"Und woher soll ich dann wissen, dass du wirklich du bist?", fragte sie misstrauisch. Tja, und da kam die Frage auf die ich ihr keine Antwort geben konnte.
"Das kann ich dir nicht sagen, ich kann dir nur sagen, dass ich es wirklich bin. Entweder kannst du genügend Vertrauen aufbringen oder nicht", sagte ich und spürte innerlich einen Stich. Wenn sie jetzt sagen würde, dass sie mir nicht vertrauen konnte, wusste ich ehrlich nicht, wie ich reagieren würde und was ich danach machen würde. Ich hatte es auf diese eine Karte gesetzt und musste jetzt darauf vertrauen, dass ich sie richtig eingeschätzt hatte.
"Ich weiß einfach nicht... das ist alles so verwirrend... und ich verstehe nicht, wie das überhaupt möglich sein kann", versuchte sie sich zu erklären, aber ich merkte, wie durcheinander sie jetzt war. Für mich geriet die Welt völlig aus dem Gleichgewicht. Ich hatte mich so sehr darauf verlassen, dass sie aufgeschlossen genug war, um damit fertig zu werden und jetzt hatte ich womöglich den größten Fehler gemacht.
"Warum ich?", fragte sie aus dem Nichts. Verwirrt sah ich sie an. Im ersten Moment verstand ich die Frage einfach nicht. "Wieso hast du es ausgerechnet mir anvertraut? Wieso hast du dich überhaupt für mich entschieden? Ich meine von Anfang an hast du nur Interesse an mir gehabt. Du hast alle anderen einfach abblitzen lassen."
"Keine Ahnung", sagte ich ehrlich und zuckte mit den Schultern. "Ich hab dich einfach gesehen und wusste, dass ich dich kennenlernen muss. Wieso das so ist, weiß ich nicht."
Nachdenklich musterte sie mich und schien abzuschätzen in wie weit ich ehrlich zu ihr war. Sie schien sich allmählich etwas zu entspannen und auch der Abstand zwischen uns schien mir nicht mehr unüberwindbar zu sein.
"Hör zu", sagte ich und machte einen Schritt auf sie zu. "Ich weiß weder, wieso ich so bin, wie ich nun mal bin - da fragst du am besten ein paar unserer Wissenschaftler - und genauso wenig weiß ich, wieso du es bist, die mir meinen Verstand raubt. Es ist einfach so."
"Aber...", begann sie und brach ab. "Ich bin doch nichts besonders. Ein einfaches und durchschnittliches Mädchen aus einer Kleinstadt." Ich musste ein breites Grinsen unterdrücken. Sie hatte ja keine Ahnung, was für eine Wirkung sie tatsächlich auf ihre Umwelt hatte. Wie sich alle nach ihr umdrehten, wenn sie durch einen Raum ging. Wie hübsch sie tatsächlich war und das ohne das ganze Zeug, dass viele andere brauchten um schön zu sein. Sie war es einfach.
"Glaub mir, du bist außergewöhnlich und dass kann ich aufrichtig sagen, denn ich habe schon viel Außergewöhnliches gesehen. Du bist einfach nur fantastisch." Es war die Wahrheit, die ihr wohl vorher noch nie jemand gesagt hatte, denn sie bekam knallrote Wangen und sie wich meinem Blick verlegen aus. Wie kann man sich nur so unterschätzen?, ging es mir durch den Kopf. Dann dachte ich an die fiesen Äußerungen ihrer Mutter, dass sie einfach nichts besonderes sei und doch mal mehr aus ihrem Typen machen sollte, dann hätte sie auch reelle Chance bei jemandem wie mir. Aber ich wollte sie so, wie sie war.
Jetzt lag es an ihr sich auch für mich zu entscheiden.

Dienstag, 5. Dezember 2017

der falsche Onkel

Leise, um nicht entdeckt zu werden, lauschte ich an meiner Tür. Gott sei dank unterhielten sich die beiden Männer laut genug, ging es mir durch den Kopf als ich sie reden hörte. Ich wollte endlich antworten haben und da mir niemand hier antworten gab (also keine, die mir wirklich weiterhalfen), musste ich sie mir eben so holen.
"Sie ist ganz bestimmt die richtige", murmelte der eine Mann, den ich heute zum ersten Mal gesehen hatte.
"Ja, hast du ihr mal gesehen?", fragte der andere, der mich seit einigen Jahren, seit meine Eltern tödlich verunglückt sind aufzog. Onkel Gregor. Bis zu jenem Tag hatte ich noch nie etwas von ihm gehört. Als ich ihm das sagte, lachte er und erklärte, dass er sich schon in seiner Jugend mit seinem jüngeren Bruder zerstritten hatte. Zuerst hatte ich ihm nicht glauben wollen, konnte mir nicht vorstellen, dass mein Vater seinen eigenen Bruder verleugnete, aber Gregor zeigte mir Fotos von ihnen, seine Geburtsurkunde und alles was ich damals verlangt hatte, um mir glaubhaft zu beweisen, dass er wirklich mein Onkel war.
"Das kann man ja gar nicht übersehen", wisperte der andere wieder, "es zieht sich ihren ganzen Nacken hinauf!" Unwillkürlich griff ich mir in den Nacken und spürte das Mal unter meiner Haut pulsieren. Niemand konnte mir erklären woher es kam und was es bedeutete. Einige vermuteten, dass man mich als Säugling tätowieren lassen hat, aber ich wusste, dass das totaler Unsinn war. Es veränderte sich. Nicht viel, aber wenn man es, wie ich, jeden Tag beobachtete fiel es schon auf. Die Farben änderten, es kamen neue Ranken hinzu und andere verblassten erst und verschwanden irgendwann komplett. Doch das ist außer meinen Eltern noch niemandem aufgefallen. Kleine Elfe, so haben sie mich wegen des Mals immer genannt.
"Dann sollten wir die Herrin rufen", murmelte mein Onkel. Die Herrin? Wer sollte das denn sein? Mein Onkel war nicht verheiratet.
"Einverstanden", raunte der andere verschwörerisch. Was hatte das denn alles bloß zu bedeuten? "Weißt du, was es bedeutet, wenn sie wirklich die Richtige ist?"
"Natürlich."
"Dann kann unsere Herrin endlich ihre Macht wieder an sich nehmen und endlich die Welt zu unseren Vorstellungen formen." Der andere Mann kam richtig ins schwärmen, was sie alles ändern wollen, sobald ihre komische Herrin nur an der Macht war.
Ohne Vorwarnung ging die Tür auf und knallte mir heftig gegen den Kopf. Erschrocken strauchelte ich einige Schritte zurück und rieb mir den schmerzenden Kopf.
"Was machst du denn hinter der Tür, du meine Güte?", fragte mein Onkel sichtlich nervös.
"Ich... ich wollte doch nur in die Küche und mir etwas zu trinken holen", erwiderte ich schnell. Ich konnte das Zittern in meiner Stimme hören und befürchtete, dass Onkel Gregor mir nicht glauben würde.
"Na, nur zu, Liebes, wir wollen ja nicht, dass du uns hier verdurstest, gell?", sagte er lachend und hielt mir die Tür auf. Nervös lächelte ich und lief - etwas zu schnell - in die Küche und holte ein Glas aus dem Schrank und öffnete den Kühlschrank und tat so, als würde ich überlegen, was ich denn jetzt trinken wollte.
"Sie ist auf dem Weg", sagte mein Onkel feierlich. "Bald wird das ganze Theater endlich vorbei sein."
"Geht es dir nicht Nahe?", fragte der Andere. "Immerhin hast du sie die letzen Jahre auswachsen sehen. Also ich könnte das sicherlich nicht!"
"Wenn mein Bruder, der dreckige Versager, damals nicht einfach untergetaucht wäre und sie unserem Zirkel weggenommen hätte wäre das alles nicht nötig gewesen und er und Ewa würden noch am Leben sein!" Es dauerte einen ewig langen Moment, bis ich begriff, was er da gerade angedeutet hatte. Mein Vater ist mit meiner Mutter und mir geflohen und sie mussten wohl deswegen sterben. "Ich war mir damals schon sicher, dass sie es ist. Ich meine, mal ehrlich, diesen Unfall hätte sie unmöglich überleben können! Selbst als Ewas Tochter wäre sie nicht mächtig genug gewesen! Aber die Herrin wollte abwarten, sichergehen und kein Risiko eingehen."
"Sie kann das Ritual auch nur einmal durchführen", murmelte der andere und klang nachdenklich.
"Aber ich hätte dieses Balg nicht all die Jahre durchfüttern müssen!", keifte Onkel Gregor. Mir blieb vor Schreck der Atem weg. Ich konnte nicht glauben, was er da sagte und das mit einer solchen Heftigkeit, die ich bei ihm noch nie erlebt hatte. In meinem Kopf drehte sich alles. Ich begriff nicht, was das alles zu bedeuten hatte. Wo war ich hier nur reingerutscht? Und viel wichtiger, wie komme ich hier wieder raus? Heiße Tränen liefen mir übers Gesicht und ich versuchte die aufsteigende Panik zu unterdrücken. Jetzt in Panik zu geraten, wäre wohl mein sicherer Tod. Zumindest wenn ich das alles hier wirklich richtig verstanden hatte.
Das Klingeln der Haustür riss mich jäh aus meinen Gedanken raus.
"Liebes, geh und öffne doch bitte die Tür und schicke den Gast in mein Arbeitszimmer!", rief Onkel Gregor laut. Ihm schien nicht bewusst zu sein, dass ich auch ohne lautes Rufen alles verstehen konnte, was mein Glück war.
"Natürlich", rief ich zurück und bemühte mich so normal, wie nur irgend möglich anzuhören. Also schloss ich den Kühlschrank und ging zu Haustür. Vor der Tür atmete ich noch einmal tief durch, wischte mir mit den Händen über das Gesicht und öffnete dann die Tür.
Vor mir stand eine Frau in einem schwarzen Kostüm, dass ihr hervorragend passte und noch besser stand. Ihre blonden Haare hatte sie zu einer eleganten Hochsteckfrisur zusammengesteckt. Sie strahlte mich begeisternd an: "Guten Tag, du musst Alyssa sein. Es freut mich außerordentlich dich endlich kennenzulernen, meine Liebe." Sie reichte mir die Hand und sah mich erwartungsvoll an. Ruhig bleiben, dachte ich und atmete tief ein und strahlte sie dann ebenfalls an: "Guten Tag, ja genau, die bin ich. Mein Onkel Gregor", dieser miese Lügner, "erwartet Ihre Ankunft in seinem Arbeitszimmer."
"Ach, wie reizend von ihm, danke. Ich finde allein dorthin", sagte sie und war auch schon an mir vorbei gegangen, in die Richtung des Arbeitszimmers. Langsam schloss ich die Tür, doch nicht ohne mich nach jemandem umzusehen, der mir helfen konnte. Es war niemand zu sehen.  Jack!, dachte ich hoffnungsvoll, ich musste Jack erreichen.
So schnell ich konnte, ohne dass es merkwürdig war ging ich zurück in mein Zimmer und suchte mein blödes Handy, aber der kleine Apparat war verschwunden. Das nächste Telefon war unten vor dem Arbeitszimmer gewesen und da würde Onkel Gregor mich erwischen. Wo war bloß mein Handy? Ich hätte schwören können, dass ich es auf meinem Schreibtisch liegen gelassen hatte, aber es war einfach nicht da.
"Alyssa!", rief die Stimme meines Onkels. "Liebes, kannst du bitte mal zu uns kommen?" An seiner Stimme klang nichts bedrohlich oder irgendwie verräterisch, doch mit einem Mal beschleunigte sich mein Herzschlag unerträglich schnell. Ich suchte nach irgendetwas, dass ich als Waffe benutzen konnte und fand nur meine Nagelfeile. Typisch, sowas kann nur mir passieren! Wieso war ich auch nicht zurück in die Küche gelaufen? Da gab es Messer und Scheren! Oder ich hätte über die Terrasse weglaufen können. Dort wäre ich irgendwann an den Übungsplätzen vorbei gekommen und hätte dort Jack antreffen können, der hätte mir sicher helfen können.
"Alyssa!", rief er jetzt ungeduldig. "Was dauert denn so lange?"
"Einen Moment!", rief ich zurück und überlegte fieberhaft, was jetzt nur tun sollte. Ich musste hier raus! So schnell wie möglich. Also schlich ich zu meiner Zimmertür und legte ein Ohr daran, um zu lauschen, ob an der anderen Seite etwas zu hören war. Stille, deswegen öffnete ich die Tür und spähte durch einen schmalen Schlitz. Niemand war zu sehen. Vorsichtig, um keine unnötigen Geräusche zu produzieren, schob ich mich auf den Gang und schloss die Tür sachte hinter mir. Dann schlich ich über den Flur und hörte von unten meinen Onkel sagen, dass er nachsehe wo ich blieb. Panik trieb mich schneller voran und ich versteckte mich hinter einer großen Statur nahe der Treppe. Kaum war ich in dem Schatten verschwunden, kam mein Onkel die Treppe hinauf und hämmerte gegen meine Zimmertür.
"Alyssa! Du kommst sofort mit mir runter!", brüllte er jetzt total wütend und donnerte noch einmal gegen meine Tür. Es tat sich (selbstverständlich) nichts, denn ich war nicht mehr in dem Raum. Er riss die Tür auf, so das ich angst hatte, er würde sie aus den Angeln reißen und schrie: "Sie ist weg!"
"Sucht sie!", zischte die Frau. "Ich brauche sie!"
"Ruft die Jungen, sie können helfen!", brüllte mein Onkel den anderem Mann an.
"Die Jungen?", fragte dieser etwas dümmlich. "Sie meinen die Anwärter, oder?"
"Natürlich meine ich die ANWÄRTER du Idiot!", keifte mein Onkel. Er rauschte jetzt wütend an mir vorbei und für einen Bruchteil der Sekunde dachte ich, dass jetzt alles vorbei wäre. Doch als ich begriff, dass er mich gar nicht bemerkt hatte, ergriff ich meine Chance und rannte die Treppe und hatte die Haustür gerade aufgemacht als mich jemand packte und heftig zurück riss. Im selben Augenblick trat jemand die Tür auf und ich erkannte Jack. Tränen der Erleichterung liefen mir die Wangen runter.
"Was zum Teufel ist hier los?", fragte er verwirrt und sah sich fragend um.
"Jack?", fragte die Frau, die mich im Nacken festhielt, wie mir jetzt auffiel. Entsetzt begriff ich, dass die beiden sich kannten. Nein, nein, nein, nein, nein! Wieso ist mir das nicht gleich aufgefallen! Ich hatte Jack nicht informiert über die merkwürdigen Dinge, die ich belauscht hatte. Er ist nicht hier, um mir zu helfen.
"Mutter?", fragte er ungläubig und es schien so etwas wie Erkenntnis in ihm aufzukommen. "Alyssa?"
"Was tust du hier?", zischte seine Mutter und klang dabei mehr wie eine Schlange. Sie bohrte ihre langen, manikürten Fingernägel in meinen Hals, sodass ich laut aufstöhnte.
"Lass sie sofort los!", sagte Jack entschieden und sein ganzer Körper spannte sich an. "Du bist auch in dieser irren Sekte?" Fassungslosigkeit und Enttäuschung schwangen in seiner Stimme mit.
"Ich bin nicht "in" der Sekte ich bin "die" Sekte!", kreischte sie.
"Lassen Sie mich los", wimmerte ich und begann endlich mich zu wehren. Ich trat nach ihr und schlug wild um mich und als ich schon dachte, sie hätte mir eher den Kopf abgerissen als loszulassen, schaffte ich es irgendwie mich loszureißen und stolperte von ihr weg. Durch die plötzliche Freiheit geriet ich ins Straucheln und drohte das Gleichgewicht zu verlieren, schaffte es aber mich an etwas festzuhalten.
"Ich hab dich", sagte Jack mit sanfter Stimme und nahm mich schützend in seine Arme. Jetzt tauchte mein Onkel auf dem obersten Treppenabsatz auf und hielt einen Revolver auf uns gerichtet. Langsam kann er die Treppe runter und zielte genau auf Jacks Gesicht.
"Du wirst meine Nichte jetzt sofort loslassen", sagte Onkel Gregor in einer merkwürdig ruhigen Stimme. Er machte mir fürchterliche Angst und noch größere hatte ich fast, dass Jack tun könnte was ihm befohlen wurde. Aber dieser dachte gar nicht daran und schob mich hinter sich. Weg von der Gefahr, ging es mir durch den Kopf.
"Jack!", zischte seine Mutter sichtlich nervös. Anscheinend war sie bereit ihn töten zu lassen, um an mich heranzukommen. Das war doch wahnsinnig! Reiner Irrsinn!
"Jack", hauchte ich und versuchte mich vor ihn zu schieben, doch Jack ließ mir keine Chance.
"Auf keinen Fall!" Jack stand vor mir wie ein Fels.
"Junge, ich sagte es nicht noch einmal", donnerte Onkel Gregor.
"Ich werde es auch nur einmal sagen", sagte eine weitere vertraute Stimme hinter mir. Matt, Jacks bester Freund, und richtete eine Waffe auf den Kopf meines Onkels. Das waren mir eindeutig zu viele Waffen. Ich nutze die Ablenkung, stürzte mich an Jack vorbei auf den Revolver meines Onkel und wollte ihn ihm abnehmen. (Was ich mir dabei gedacht hatte, wusste ich ehrlich gesagt zu diesem Zeitpunkt auch nicht!) Mein Onkel bemerkte in letzter Sekunde was ich vor hatte und so begann ein Gerangel um die Waffe.
Aufgeregte Stimmen riefen sowohl meinen Namen als auch den meines Onkels, doch das zählte für keinen von uns. Mein Überleben hing von diesem Ding ab und ich konnte ihn nicht gewinnen lassen. Er hatte meine Eltern umgebracht, zumindest war es maßgeblich daran beteiligt.
Ein ohrenbetäubender Knall hallte durch die Halle und erschrocken hielten wir beide inne. Jeder starrte den anderen erwartungsvoll an. Dann wurde mich mit einem Mal eiskalt und alles drehte sich.
Auf der Brust meines Onkel bildete sich ein roter Fleck, der schnell, sehr schnell immer größer wurde. Erschrocken wich ich ein paar Schritte zurück und starrte ihn weiter an. Jemand nahm mir die Waffe aus der Hand und drückte mich eng an sich.

Später erklärte man mir alles. Mein Onkel und Jacks Mutter gehörten einer Sekte an, die der Meinung waren, dass ich ein Kind sei, dass wie meine Mutter wohl auch schon vor mir, von Engeln abstammten und wenn man jemanden wie mich bei Neumond opferte und dann das Blut trank unsterblich werden würde.
Die Polizei, explizit Matt, der als verdeckter Ermittler an dem Fall dran war, hatte Jack mit in die Sache eingebunden, weil er seinen Freund nicht belügen wollte und es auch einfach nicht konnte. Jack hatte wohl sofort bemerkt, dass etwas nicht stimmte. Jack wollte mich nicht verunsichern und mir nicht unnötig Angst machen. Sie waren beide ans Anwärter bei der Sekte gewesen und sobald sie begriffen hatten, was da wirklich abging hatte Matt Verstärkung gerufen und Jack wollte mich nur noch daraus holen. Er hatte allerdings die ganze Zeit nicht wahrhaben wollen, dass seine Mutter (und auch sein Vater) teil der Sekte waren.
Ich konnte das alles einfach nicht verstehen. Sie hatten meine Eltern und wer weiß wen noch alles getötet um unsterblich zu werden. Das war einfach Wahnsinn gewesen und ich? Ich hatte jetzt keine Familie mehr. Matt hatte mir erklären müssen, dass mein Onkel seinen Verletzungen unterlegen ist, ich allerdings nicht mit weiteren Folgen rechnen brauchte, da es ganz klar ein Versehen war. Immerhin wollte ich nur mein eigenes Leben (und das von Jack) retten.
Jack war die ganze Zeit nicht von meiner Seite gewichen. Er hatte sich schlichtweg geweigert zu gehen.

Samstag, 25. November 2017

Wahrheiten

Es gibt Wahrheiten, die wir nicht aussprechen dürfen. Diese Wahrheiten sind wahr und ehrlich, dennoch sind sie nicht für jeden bestimmt. Vielleicht für niemanden? Wir reden und sagen jeden Tag so viel. Nichtigkeiten, die es sich nicht lohnt zu erzählen. Wir lügen, damit sich andere nicht verletzt werden. Wir erzählen lügen, weil sie leichter zu ertragen sind.

Aber wäre es nicht leichter die Wahrheiten zu ertragen, denn diese sind doch ehrlich und wahr, und nicht die Lügen, die wir erzählen, weil es einfacher ist? In welcher Welt würdest du gerne leben?
In der Wahren oder in einer Erlogenen?
Gibt es eine Antwort, die für jeden die Richtige ist? Kannst du die Frage beantworten?

Du möchtest also lieber ich einer wahren Welt leben, in der dir nur mit Ehrlichkeit begegnet wird? Das kann ich verstehen. Du möchtest in einer Welt leben, in der deine Meinung etwas zählt, in der du sie ehrlich äußern darfst und dir auch das Unangenehme nachgesehen wird, weil es ja die Wahrheit ist. Die ist es immer die Wahrheit zu erfahren und möchtest auch immer die Wahrheit gesagt bekommen. Und wenn du anfängst alles zu glauben, was man dir so zuträgt, wäre es dann nicht wieder ein leichtes in einer Welt aus Lügen zu leben? Denn für dich ist es eine Wahre und Ehrliche Welt.

Vielleicht sollten wir aufhören uns eine andere Welt zu wünschen und anzufangen unsere Welt in eine bessere Welt zu wandeln, um uns solche Gedanken nicht mehr machen zu brauchen.

Montag, 7. August 2017

Rettung

Dieses Gefühl hatte ich nur an einem speziellen Ort gehabt und es war alles andere als gut, dass ich es jetzt gerade wieder fühlte. Für diesen Ort hatte ich nie etwas übrig gehabt. Er bedeutete mir, dass ich zurück war.
Zurück, an einem Ort an dem ich nichts war, ein dreckiges und unbedeutendes Nichts, und wieder hier zu sein brachte mich innerlich völlig aus der Fassung. Aber ich hatte hier eine Aufgabe zu erledigen und solange "der Herr" mir nicht über den Weg laufen würde, würde mich niemand aufhalten können.
Leise schlich ich mich durch die dunklen Dienstbotengänge, die mir leider immer noch viel zu vertraut waren, auf der Suche nach meiner Verbündeten. Ich hatte nur diese eine Gelegenheit ihn hier rauszuholen und dafür brauchte ich die Hilfe von Aya, meiner Verbündeten. Es gab auch nur einige wenige Hindernisse, die ich bis jetzt nicht zu überwinden wusste. Da würde ich dann später improvisieren müssen.
Das Wichtigste war es jetzt Aya zu finden, dann würden wir uns in der Kerker schleichen und ihn retten. Ich konnte es eigentlich immer noch nicht fassen, dass ich meinen Retter jetzt retten musste. Er war einer seiner besten Männer gewesen oder besser er ist es noch. Aber "der Herr" akzeptiert keine Verbindungen seiner Männer mit seinem Eigentum. Denn das war ich für ihn gewesen. Und "der Herr" konnte es nicht ertragen, dass er mich nicht haben konnte. Zumindest nicht so, wie er es gewollt hätte und bei meiner Flucht hatte ich dafür gesorgt, dass er nie wieder jemanden haben kann, ganz gleich, wie sehr es wollte!
Endlich kam ich bei dem Treffpunkt an und war unendlich erleichtert als ich Aya dort stehen sah. Gott sei dank!, schickte ich ein stummes Gebet in den Himmel. Wir umarmten uns kurz und als sie unter meiner Berührung zusammenzuckte, wusste ich genau wieso. Sie hatte Prügel einstecken müssen.
"Komm", sagte sie und zog mich sofort mit sich. "Wir haben nicht viel Zeit! Er soll hingerichtet werden, heute Nacht!"
"Was?", fragte ich erschrocken. Ich spürte Tränen in meinen Augen brennen, aber ich unterdrückte sie. Dafür hatte ich jetzt keine Zeit. Ich musste ihn retten und Aya auch. Denn "der Herr" wird wissen, dass ich ihn befreit habe und das Aya mir geholfen hat. Ich rannte noch schnell. Plötzlich hatte ich das Gefühl keine Zeit mehr zu haben, obwohl wir bis jetzt sehr gut in der Zeit lagen.

Zu meinem Glück zogen sich die Dienstbotengänge durch das gesamte Anwesen, sodass wir sogar unbemerkt in den Kerker kamen ohne diese Gänge verlassen zu müssen, was hieß, dass wir unentdeckt blieben.
"Hast du herausbekommen in welcher Zelle er ist?", fragte ich und wusste nicht ob ich die Antwort wirklich hören wollte. Denn das war eine Hürde, die ich von außen hatte nicht bewältigen können. Ich war von Aussagen abhängig, die eventuell falsch sein könnten, wenn es überhaupt eine Antwort gab.
"Ja, er ist in der Drei. Kezzer musste ein paar Mal zu ihm. Maliah, sie haben ihn gefoltert, und so wie Ketzer es beschrieben hat, ziemlich schlimm." Aya sah mich mitfühlend an.
"Ich hole ihn hier raus, Aya", sagte ich mit fester Stimme. Und wenn ich ihn eigenhändig hier raus tragen müsste, dachte ich.
"Ok, weißt du noch welche Tür es war?", fragte sie und ich wusste, dass sie mich unterstützen würden.
Kurz sah ich mich um und musste mich erinnern, welche dieser versteckten Türen in die Drei führte. Als ich sie gefunden hatte legte ich meine Hand auf den Griff, atmete tief durch und lauschte an der Tür. Ich konnte nichts von der anderen Seite der Tür wahrnehmen. Also atmete ich noch einmal tief durch und öffnete dann die Tür...

Montag, 24. Juli 2017

Zwischen den Kriegen

Es war einer dieser Momente die für immer wehrte, aber nur einen kurzen Moment dauert. Einer dieser Momente die nur mir gehörten. Momente wie diese wurden nie oft mit vielen geteilt. Nur mit einigen wenigen Menschen.
Es war einer dieser Momente die ich nur mit ihm teilte. Und nur er wusste davon. Dieser Moment zwischen den Kriegen. In der die Zeit still stand und wir eng umschlungen zu einem Lied tanzten, dass so traurig war, wie dieser Moment zwischen den Kriegen.
Es war einer dieser Momente zwischen den Kriegen.

Wir standen nahe bei einander und hatten angst, dass es nur ein Traum war. Wir wollten nicht geweckt werden. Wir wollten träumen, dass dieser Moment ewig werte. Es sollte länger dauern als ein Moment zwischen den Kriegen. Mehr Zeit wollten wir. Mehr Zeit um uns noch ein wenig länger nahe sein zu können.
Es war einer dieser Momente zwischen den Kriegen.

Irgendwann würden wir erwachen und dann wären wir allein. Allein in einem Moment, den wir beide nie erleben wollten. Wir würden allein in einem dieser Momente zwischen den Kriegen sein. In einem Moment aus dem es kein entkommen mehr geben kann. Jetzt und hier war es das letzte Mal, dass wir zwischen den Kriegen tanzen konnten. Dann blieb uns nicht einmal mehr der Traum von einem dieser Momente zwischen den Kriegen.
Es war einer dieser Momente zwischen den Kriegen.

Wenn der Traum geträumt wurde, wird er nicht mehr zu träumen sein. Dann würden wir allein in einem Moment inmitten eines Krieges stehen. Jeder für sich und keiner füreinander. Dann gab es keinen dieser Momente zwischen den Kriegen mehr. Aber würde ich dann noch träumen können? Könnte ich je wieder zurück zu einem dieser Momente zwischen den Kriegen? In einem Moment in dem ich mit ihm tanzte, zu einem Lied, dass so traurig war, wie dieser Moment zwischen den Kriegen? Würde es ein "uns" geben, wenn der Krieg beginnt?
Es war einer dieser Momente zwischen den Kriegen.

Sonntag, 18. Juni 2017

Unwissend

Es war das erste Mal gewesen, dass ich meinem Bruder nicht dankbar dafür war, dass er mir das Lesen und Schreiben beigebracht hatte. Ich wünschte mir sehnsüchtig, dass ich kein einzelnes Wort von all dem lesen konnte.

Aber ich konnte es lesen, weil er es mir beigebracht hatte. Und jetzt starrte ich erschüttert diese Meldung an, die heute morgen eine der Wachen des Hohepriesters, unserem Herrscher, an die Tafel gehängt hatte. Hier hingen eigentlich immer nur schlechte Nachrichten, manchmal einfach nur tragisch schlechte Nachrichten und manchmal einfach nur abgrundtief schlechte Nachrichten.

Diese Nachricht jedoch war anders. Anders für mich. Sie erklärte mich quasi vogelfrei.
Langsam lies ich meinen Blick streifen. Hatte hier jemand schon diese Nachricht gelesen? Wenn ja, dann hatte ich kaum noch Zeit für die Flucht. Sie würden über mich herfallen und mir wer-weiß-was antun, nur um mich dann der Wache auszuliefern. Diese würden mich foltern und quälen um herauszufinden wo mein Bruder sich versteckte. Dennoch würden all ihre Versuche an Informationen zu kommen scheitern. Nicht weil ich glaubte, ihre Folter ertragen zu können. Oh nein! Ich konnte ihnen nichts sagen, denn ich wusste nichts. Das hatte er unserem Vater schwören müssen. Er durfte mir nichts sagen, dass mich in den Ärger mit reinziehen konnte.

Mein Bruder hatte sich strikt an seinen Schwur gehalten. Nichts hatte er mir erzählt! Nicht einmal, dass er sich dem Widerstand angeschlossen hatte. Ich hatte es ganz zufällig mitangehört, weil ich nachts aufgewacht war, wieder einer dieser schrecklichen Albträume, die mich quälten, seit ich ein kleines Mädchen war. Da war ich aufgestanden und wollte zu meinem Bruder ins Bett, wie ich es immer tat, aber sein Bett war leer und ich hörte ein leises Flüstern aus dem Zimmer nebenan. Leise schlich ich an die Tür und öffnete sie einen Spalt, um die Personen zu belauschen. Da hatte ich dann gehört, wie mein Bruder von meiner Großmutter zusammen gefaltet wurde, weil ihr es absolut nicht gefiel, dass sich mein Bruder dem Widerstand angeschlossen hatte.
Jetzt stand ich hier vor der Tafel und starrte auf das Plakat mit meinem Gesicht darauf. Ich zog mir schnell meine Kapuze noch tiefer ins Gesicht und rannte davon. Rannte und rannte so schnell ich nur konnte und so weit mich meine Füße trugen.

Im Wald stolperte ich, stürzte so hart mit dem Kopf auf eine Baumwurzel, dass ich das Bewusstsein verlor. Doch ehe ich in die Dunkelheit gesogen wurde, sah ich die Silhouette eines Mannes, die mich behutsam hochhob. Dann war alles weg...

Montag, 17. April 2017

Zwei Seelen

Ewige Kälte. Ewige Einsamkeit. Das war es, was sie mir angetan hatten, nach allem, was ich für sie getan hatte!
Eingesperrt! In einem Gefängnis, dass nie für mich bestimmt war. Sondern für Anastasia, eine Magierin, die Schreckliches getan hatte, bevor es mir gelungen war sie in mir einzusperren. Ein Fehler. Denn jetzt hatten sie mich verurteilt und weggesperrt. Für jedes Verbrechen, dass Anastasia je begangen hatte!
Mir war klar, dass der Hass, den ich seit jenem Tag in mir trug, von Anastasia kam und sie schürte ihn. Sie tat alles um mich dazu zu drängen einen Ausweg zu suchen, aber ich würde dieser Verrückten nicht geben, was sie wollte, egal, wie lange ich hier noch bleiben würde!
"Irgendwann wird einer von uns hier ausbrechen", säuselte Anastasia in meinem Kopf.
"Wir bleiben hier, wo du hingehörst! Dich kann man einfach nicht auf die Menschheit loslassen! Du bist gemeingefährlich", schnauzte ich sie grimmig an.
"Die Leiher schon wieder", sie seufzte, "es macht einfach kein Spaß mehr mit dir hier, also würde ich vorschlagen, wir gehen einfach und suchen uns neue Spielgefährten."
Sie bemühte sich meinen Körper zu übernehmen aber noch war ich stark genug sie daran zu hindern. Und die Kälte, die unsere Strafe war, tat ihr übriges. Sie war lähmend und allgegenwärtig. So sehr Anastasia in meinem inneren wütete und tobte, die Kälte hatte meinen Körper unter Kontrolle. Nicht einmal ich war stark genug ihn zu bewegen. Wahrscheinlich waren wir zusammen stark genug gegen die Kälte gewesen, aber das würde nie eine Option für mich.
"Du wirst ihn nie wiedersehen", sagte sie höhnisch. Natürlich kannte sie nach all der Zeit meinen wunden Punkt. Sie kannte den einzigen Grund, weshalb ich es nicht ertragen konnte im ewigen Eis eingeschlossen zu sein.
Seit ich hier war, ist er nicht einmal gekommen um mich zu sehen. Auch wenn tief in meinem Inneren immer darauf wartete, wusste ich, dass er nicht kommen würde. Bevor ich Anastasias Seele in mir aufgenommen hatte, hatte er mir gesagt, dass er mich danach nicht mehr sehen konnte. Ich hatte es damals nicht verstanden, ich hatte es schließlich für ihn getan. Seiner Schwester wegen. Anastasia hatte sie brutal ermordet und das nur weil es ihr Spaß gemacht hatte. Wir hatten geschworen sie zu rächen und als ich endlich eine Möglichkeit fand, hatte er mich verlassen. Selbstmord hatte er das genannt. Damals hatte ich es nicht verstanden, jetzt allerdings tat ich es.
Irgendwann würde Anastasia meine Seele völlig zerstört haben und von  mir würde nur noch meine körperliche Hülle zurückbleiben. Und wenn es so weit war, dann würde Anastasia in meinem Körper leben und wer weiß was anrichten.
Mir blieb nur übrig so lange wie möglich gegen sie anzukämpfen.

Meine Apokalypse

Als der Erdboden sich vor mir auftat und ich taumelte einige Schritte zurück trat, konnte ich nicht anders als an die blöde Apokalypse denken. Das war doch auch einfach zu albern gewesen. Eben noch lief ich den Weg entlag auf der Suche nach der blöden Hütte, in der ich mich mit den Anderen treffen wollte und da fing es plötzlich einfach so an.
Erst war es nur der Regen gewesen, der mir kalt ins Gesicht peitschte und es mir fast unmöglich machte meine eigene Hand vor Augen zu erkennen. Dann wurde es zusätzlich noch stockfinster - als ob das nötig gewesen wäre, ich hatte mich auch so schon fürchterlich verlaufen und wusste nicht mehr, wie ich jemals diese Hütte hatte finden sollen. Irgendwann begann leicht die Erde zu beben, sodass ich strauchelte und hingefallen war- mehrfach!
Jetzt war es also stockdunkel gewesen, es goss, wie aus Eimern und das Beben hatte dazu geführt, dass sich die Erde auftat und ich lief, mehr oder weniger, blind durch die Gegend, keine Ahnung wo ich war und wohin ich lief.
Aber dass hatte ich davon gehabt mich mit einem Gott anzulegen. Was, verdammt noch mal, hatte ich mir dabei gedacht einen Gott zu beleidigen? Aufgeblasener Nichtskönner hatte ich ihn genannt! Und ich hatte noch einiges mehr rausgehauen, was ich zwar nicht wirklich zurücknehmen würde, aber ich hätte es zumindest nicht sagen sollen. Aber ich hatte leider dieses Problem gehabt. Egal wie sehr ich mich bemühte, ich redete erst und dachte dann über Gesagtes nach. Definitiv eine dumme Angewohnheit!
Jetzt waren die einzigen, die mir aus dieser Lage helfen konnten in einer kleinen Hütte und warteten wahrscheinlich schon ungeduldig auf mich. Ich konnte Niams Stimme hören, wie er sich über mich aufregte, weil ich es nie schaffte pünktlich zu sein. Aber dieses Mal konnte ich auch wirklich nichts dafür! Es war ja immerhin nicht meine Schuld, dass der blöde Gott nicht mit Kritik umgehen konnte. Nagut mit Beleidigungen. Aber er hatte angefangen und hatte sich unmöglich benommen. Ich meine, er hatte beschlossen, dass ich das perfekte "Weib" für ihn wäre...
Also selbst, wenn wir noch immer im Mittelalter leben würden, hätte ich mir so eine dreiste und widerwertige Anmache nicht bieten lassen.
Für mich würde es dann jetzt wohl ersteinmal bedeuten vor einem Gott und meiner ganz persönlichen Apokalypse davonzulaufen.

Sonntag, 26. März 2017

Wege zu Mir

Es ist nicht immer leicht. Viele versuchen einen vom Weg abzubringen oder einen zu verändern. Und es ist auch in Ordnung sich zu verlaufen. Einen Weg einzuschlagen, nur um dann festzustellen, dass das nicht der richtige Weg für einen Selbst ist.

Wie oft ich mich verirrt habe weiß ich nicht. Wahrscheinlich sogar öfter als mir bewusst ist und jede Entscheidung, die ich treffen musste, jede Entscheidung ob gut oder nicht, haben mich ein Stück eines Weges vorangebracht. Eines Weges von dem ich hoffe, er ist der Richtige. Ein Weg der mich mehr zu mir selbst führt.
Aber wer bin ich eigentlich?
Ich habe viele Gesichter. Ich bin für jeden etwas anderes und niemals gleich. Was ich bin hängt immer davon ab, wer mich betrachtet. Bin ich Freundin, Liebste, Tochter, Enklin, Feindin, Zicke? Ich bin alles davon und ich bin nichts davon. Was ich bin liegt nicht an dir, sondern daran ob ich daran glaube. Glaube ich deiner Wahrnehmung? Bin ich unabhängig? Kann ich ohne dich existieren oder bin ich von dir abhängig? Bin ich beides?
Vielleicht bin ich Ich, weil ich bin wie ihr mich seht, ohne mir davon den Weg bestimmen zu lassen.
Meinen Weg bestimme ich selbst. Begleiten von euch.

Wer bist du?

Sonntag, 19. März 2017

Es ist Ok!

Es ist ok.
Ein Satz. Eine Lüge. Ein Desaster.
Und wahrscheinlich die Lüge, die jeder von uns so oft sagt, dass wir sie mittlerweile selbst schon glauben. Auch ich sage mir andauernd, dass es ok ist. Aber das ist es nicht. Es wird es auch nicht mehr werden. Du hast einen Teil von mir verstört. Vernichtet und ermordet! Damit muss ich jetzt leben.
Es ist ok.
Aber ich werde es nicht mehr dulden, dass du mir weiterhin das Leben ruinierst. Du hattest die Wahl und du hast dich entschieden, so wie ich mich entschieden habe. Eine Entscheidung die mich dazu bringt dich zu hassen. Mich zu hassen. Jener Teil der mir fehlte wurde ersetzt. Ersetzt durch Hass den ich nicht fühlen kann. Ich hasse, weil ich nicht hassen kann. Mich nicht. Dich nicht. Aber es gibt kein Zurück. Nicht für mich. Nicht für dich.
Es ist ok.
Wir standen einst an einer Kreuzung und jeder ging seinen Weg, vergaß dabei, dass die Wege uns trennen würden. Ein Weg ohne zurück. Jetzt stehe ich alleine da und versuche zu verstehen. Ich versuche zu verstehen, was nicht verstanden werden will. Kein Vorwärts. Kein Rückwärts. Keinen Stillstand. Nur der freie Fall. Ich weiß nicht wo ich landen werde, aber ich weiß, dass mich der Fall nicht zu dir bringt. Alle Wege führen nach Rom, aber keiner führt zu dir.
Es ist ok.
Endlich habe ich verstanden. Ich habe verstanden, dass ich dich nicht hassen kann. Ich habe verstanden, dass ich dich lieben muss. Ich habe verstanden, dass der Hass bleiben wird, wie die Liebe bleibt. Licht und Dunkel. Tag und Nacht. Liebe und Hass.
Es ist nicht ok.

Freitag, 24. Februar 2017

Fluchtweg

Keine Ahnung wie lange ich hier saß und dieses verdammte Ding anstarrte. Es machte mich fertig! Ich wusste, wenn es las und ich aufflog würde ich nicht nur Ärger bekommen, sondern würde wohl um mein Leben betteln müssen. Aber wenn ich es nicht las würden sehr viele gute Menschen - unschuldige Menschen sterben.
"Hast du herausgefunden wo er es versteckt?", fragte er nervös und strich sich mit der Hand durch das Haar. Ich konnte beinahe seine Angst riechen.
"Sccht!", machte ich und funkelte ihn wütend an. Wusste er eigentlich, was er hier von mir verlangte?
Es ging um geheime Infos über das Vorhaben meines Stiefvaters, die das ganze System unserer Stadt verändern konnten, wenn wir sie in die Finger bekommen würden. Zumindest betrifft es am Anfang unsere Stadt, dann wird es wahrscheinlich ziemlich große Wellen schlagen und wird dann das Land und dann die Welt verändern. So war es auf jeden Fall geplant. Wenn ich jetzt nicht endlich die Informationen beschaffte, die man von mir erwartete, würde man mich öffentlich hinrichten und an mir ein Exempel statuieren. Meiner Mutter würde es das Herz brechen, aber sie würde nicht den Mut aufbringen sich gegen meinen Stiefvater aufzulehnen.
"Beeil dich mal! Ich hab keine Lust morgen die Hauptattraktion zu sein", murrte er. Wieder strich er sich durchs Haar.
"Jaja", erwiderte ich leise und schlug endlich den Hefter auf. Auf den ersten Seiten stand nichts wichtiges. Irgendwelche Verträge und Rechnungen, die nichts mit meinem Vorhaben zu tun hat. Doch dann fand ich endlich die Notiz nach der ich suchen sollte. Hektisch riss ich sie aus dem Hefter, schlug diesen zu, stellte ihn zurück und stopfte den Zettel in meine Hosentasche.
"Komm!", sagte ich, griff nach seiner Hand und wollte gerade die Tür öffnen als ich von der anderen Seite Schritte und Stimmen hörte.
SCHEIßE!, dachte ich panisch und sah mich nach einem alternativen Ausweg um. Aber es gab keinen, dass wusste ich schon vorher. Es gab nur diesen einen Weg. Mein Stiefvater hatte aus seinem Arbeitszimmer eine Art Festung erstellen lassen, allerdings nur wenn man die richtigen Codes kannte. Und die kannte ich nicht. Wahrscheinlich kannte niemand die Codes außer ihm natürlich. Ich wirbelte ein paar Mal im Kreis und wusste, dass wir in der Falle saßen, auch wenn ich es mir nicht eingestehen wollte.
"Was jetzt?", fragte er verzweifelt. Keine Ahnung, dachte ich und wusste, dass das unser Todesurteil sein würde. Wir würden hier nicht ungesehen herauskommen und dass würde bedeuten, dass mein Stiefvater erfährt, dass ich in seinem Büro war und dann würde er eins und eins zusammenzählen und...
Die Klinke der Tür wurde quälend langsam heruntergedrückt. Mit geschlossenen Augen stellte ich mich meinem unweigerlichem Schicksal. Doch dann wurde ich gegen die Tür gedrückt und Lippen berührten sanft meine Lippen. Was passierte hier denn gerade? Ich öffnete die Augen wieder, weil ich sehen wollte. Ich wollte begreifen was hier los ist und als ich ihn erblickte, so Nahe, stockte mir der Atem. Aber ich atmete schon nicht mehr. Als seine Finger jetzt von meinem Nacken mein Schlüsselbein entlang fuhren, vergaß ich alles. Meine Finger vergruben sich in seinem Haar und ich presste meinen Körper gegen seinen. Auch der Kuss veränderte sich schlagartig. Aus den vorsichtigen Berührung wurde pures Verlangen. Sehnsüchtiges Verlangen! Er fühlte sich so heiß an und vertraut, gleichzeitig aber auch aufregend neu.
"Was ist denn... ?", fragte eine männliche Stimme von der anderen Seite der Tür und drückte mehrfach kräftig gegen diese um sie zu öffnen. Keuchend lösten wir uns voneinander und ich musste mich zusammenreißen, dass ich ihn nicht sofort wieder küsste. Wir traten von der Tür und dabei fiel mir auf, dass er mich immer noch fest an sich drückte.
Die beiden Männer die jetzt ins Büro traten sahen uns erst überrascht und dann etwas peinlich berührt an. Ich kannte keinen der Beiden gut, aber ich wusste, dass die Geschäfte mit meinem Stiefvater machten.
"Was machen Sie denn hier?", fragte der Dicke mich.
"Ich... also ich mache...", stotterte ich und sah ihn hilfesuchend an.
"Das ist meine Schuld", sagte er und sah besonders schuldbewusst drein. Er hatte einfach so ein Gesicht dem man vertrauen musste. So hatte er es auch damals geschafft, dass ich mich ihm und den Rebellen angeschlossen hatte. "Wir wollten... ich hab sie so lange nicht gesehen..."
"Wir sollten jetzt gehen", erwiderte ich und zog ihn aus dem Büro. Kaum hatten wir es verlassen zog ich ihn noch mal zu mir und küsste ihn abermals. Ich hörte einen der Beiden noch etwas über die Jugend von heute und wenig anstand sagen, dann ging die Tür zu und irgendwie hatte er es geschafft uns unser Leben zu retten.

Donnerstag, 19. Januar 2017

Zukunftsblick

Eigentlich war es einer dieser Tage, an die man sich später nicht mehr erinnern würde. Wahrscheinlich würde ich ihn auch irgendwann vergessen, immerhin war nichts besonderes passiert. Dennoch konnte ich die Magie des Tages deutlich spüren. Sie wischte alle Schleier weg und zeigte mir, was ich schon längst wusste, noch deutlicher.
Die wunderbarste Frau der Welt - meine Frau! - stand mit den Füßen bis zu den Knöcheln im Wasser und sah der Sonne beim Untergehen zu. Diese tolle Frau, die so viel für das bisschen Frieden hatte opfern müssen, stand reglos da und genoss die letzten Sonnenstrahlen. Das lange Kleid, dass sie trug war unter schon fast bis zu den Knien nass, doch das schien sie überhaupt nicht zu stören.
Kurz hatte ich überlegt zu ihr zu gehen, sie einfach fest in die Arme zu schließen und sie nicht mehr los zu lassen. Dann hatte ich aber bemerkt, dass sie sich mit jemandem unterhielt. Da ich niemanden sehen konnte wusste ich genau mit wem sie sprach. Mit ihrem engsten Vertrauten, dem Mann, dem ich es zu verdanken habe, dass sie heute noch hier bei mir ist. Damals habe ich angefangen an Wunder zu glauben. Ich habe es einfach nicht fassen können, dass sie wieder bei mir war - nach all der Zeit, nach all den Jahren.
Und jetzt stand uns das nächste Wunder bevor. Es war so unglaublich und ich konnte es einfach nicht fassen, geschweige denn in Worte fassen. Außerdem hatte ich Angst, wenn ich es Laut ausspreche, dass es dann nicht war wird. Dieses Geschenk war mir einfach viel zu kostbar um es verlieren zu können.
"Hey, du Träumer!", sagte sie, stieß mich an und lächelte mich an. "Worüber denkst du nach?"
"Wie froh ich bin, dass ich dich hab!"
"Uns hast! Du meinst doch wohl, wie froh du bist, dass du uns hast!" Als sie "uns" legt sie meine Hand auf ihren, mittlerweile ziemlich dicken Bauch.
"Ich bin unendlich froh euch zu haben und ich liebe euch." Ich ging in die Hocke, legte auch noch meine zweite Hand auf ihren Bauch und flüsterte: "Aber dich liebe ich noch mehr als die Mama."